Wir stapften durch den dunklen Wald. Wohl hätte ich uns auch mit Magie befördern können, jedoch half die kühle Nachtluft dem alten Faust wieder etwas klarer zu werden.Die Bäume in diesem Teil des Waldes standen so dicht, dass kein Mondlicht durch das Blätterwerk dringen konnte. Trotzdem konnte ich in einiger Entfernung ein Licht entdecken. „ Schau, dort hinten ist es schon“, zischte ich Faust zu, doch seine ermüdeten Augen waren anscheinend nicht mehr in der Lage das Glimmen in der Ferne auszumachen. Ohne Erklärung bahnte ich mir weiter einen Weg durch die Bäume, der Alte hinter mir her.
Endlich ließen wir die letzten Bäume hinter uns und traten auf eine Art Lichtung. Ein Moor. Dunkel, schlammig und blubbernd breitete es sich dort aus. Inmitten des
Sumpfes, auf einer kleinen Insel, stand eine alte, windschiefe Holzhütte, deren Schornstein heftig qualmte. Ein schmales Holzbrett war die einzige Möglichkeit, das tödliche Moor auf dem Weg zum Haus zu überqueren.
„Nein, da gehe ich nicht rüber! Auf keinen Fall!“, sagte Faust und seine Stimme zitterte so sehr, dass ich ihn kaum verstand. Innerlich stöhnte ich auf, jedoch blieb ich still und bot ihm meine Hand an. Seine faltigen Hände berührten meine und alles Licht verschwand. Es war so dunkel, dass die Augen schmerzten. Überall schrien Kinder, Frauen und Männer. Es waren die Schreie derjenigen, die in den ewigen Qualen meines Reiches schmorten. Nur wenige Sekunden später war es vorbei. Mir machte diese Art zu reisen nichts aus, doch mein werter Freund sah noch einmal zehn Jahre älter aus. Seine Augen waren weit aufgerissen und sein Atem ging schnell. Er schaute sich um und stellte fest, dass wir uns auf der Insel befanden.„ Irgendwie musste ich uns ja herüber bringen. Geht’s wieder?“, fragte ich behutsam, obwohl mir dieser verweichlichte Greis mittlerweile schon heftig auf die Nerven ging. „ Ja, alles ok.“ Ich stieß die Tür des Hauses auf, die sich knarrend öffnete. In der kleinen Behausung stand eine vor Schreck erstarrte Hexe vor einem Kessel, in dem sich eine Flüssigkeit unnatürlicher Farbe befand. An den Wänden standen Regale, in denen sich Fläschchen mit unbekannten Substanzen, verstaubte Bücher und allerlei Kochutensilien stapelten. Von der Decke baumelten – durch Unmengen an Spinnweben kaum zu erkennen – alte Knochen und ein zerbrochener Besen. In einer Ecke stand ein staubiges Bett. Durchs Zimmer sprang eine Meerkatze und half bei der Zubereitung der Tränke. Einige andere Meerkatzen kuschelten in der Nähe des lodernden Feuers.Die Hexe, die sich gefasst hatte, verbeugte sich vor mir. Ich brauchte einige Zeit, um mich an ihren Namen zu erinnern …. Sibylle.
Sibylle war eine kleine Hexe. Auf ihrem schmalen Kopf wuchsen Locken mit einer Farbe wie Feuer. Sie steckte es mit Hilfe einer Spinne auf ihrem Kopf hoch. Nur einzelne Strähnen fielen frei auf ihren Rücken bis zu ihrer breiten Hüfte. Das Gesicht, welches von der Haarpracht umrahmt wurde, war voll bemerkenswerter Schönheit. Die großen Rehaugen mit den dichten, dunklen Wimpern waren ebenso ein Blickfang, wie die vollen Lippen und die kleine gerade Nase. Kaum zu übersehen war ihr praller, bei jeder Bewegung wippender Busen. Ihr geradezu perfektes Aussehen wurde von einer sehr großen Narbe zerstört, die sich den Hals hinunterzog und in ihrem anzüglichen Kleid verschwand. Ein Schmerzenslaut rechts von mir brachte mich dazu, meinen Blick abzuwenden. Heinrich konnte sich nur noch schwer auf den Beinen halten. Die Hexe schob ihm einen Holzschemel hin und er setzte sich. „ Ich bin so alt, jede Bewegung ist eine Qual“, teilte er uns mit schmerzverzerrter Stimme mit. Ich antwortete ihm ohne zu zögern: „ Ich fühle mit dir, mein alter Freund, deshalb habe ich dich hierher gebracht. Die Hexe kann dein Leid beenden.“ „ Ist denn kein anderer Weg möglich? Mir grauset vor der Vorstellung, mein Leben in Hexenhände zu geben.“ „Die einzige andere Möglichkeit ist es, körperlich arbeiten. Wenn du dies tust, wird dein Körper möglicherweise um einige Jahre jünger.“ Er war fassungslos. „ Ich und arbeiten? In meinem ganzen Leben war mein einziges Werkzeug die Feder und ich werde mich weigern, eine Hacke oder ein anderes Werkzeug in die Hand zu nehmen.“ Einsichtig bat Faust die Hexe ihm einen Alterstrank zu brauen.
Sybille trat auf den Kessel zu. Das prasselnde Feuer ändert seine Farbe und wurde
schwarz, so dass der gesamte Raum in ein bedrohliches Licht getaucht war. Nur noch
schemenhaft konnte man die über den Kessel gebeugte Gestalt wahrnehmen. Ihre eigentlich klare, sanfte Stimme verwandelte sich zu einem unheimlichen Donnern, während die Zauberkundige geheimnisvolle Formeln wisperte. Die Gläser klirrten in den Regalen und die Meerkatzen tanzten, wie in Trance um die Hexe und den Kessel herum. Heinrich versuchte gefasst zu wirken, doch für einige Sekunden sah ich die Panik in seinen Augen aufblitzen. Zutat um Zutat wurde der Trunk gemischt. Der Redefluss der Hexe war ununterbrochen und vollkommen unverständlich. Die ungewöhnliche Beschwörung ließ einen jedes Zeitgefühl verlieren, so dass es mir nur wie einige Minuten vorkam, jedoch konnte man die ersten Vögel den Tag ankündigen hören, als Sybille aus dem Kreis ihrer Affen trat. In ihrer Hand hielt sie ein Gefäß, welches eine schleimähnliche Substanz enthielt. Sybille reichte Faust den Trank, wobei er seinen Ekel nicht verhehlen konnte. Er setzte das Fläschchen an seine eingefallenen Lippen und nahm das Mittel ein. Die Hexe zog mich einige Schritte weg von Faust, welcher
begann von innen zu leuchten. Zuerst geschah nichts, doch plötzlich brach er zusammen und stieß Schmerzenslaute aus. Entsetzt wollte ich ihm helfen, doch die Dämonin, die mich fest hielt war stärker, als ich es angenommen hatte. „Lasst ihn, wenn ihr ihn jetzt berührt, so stirbt er.“, zischte sie mir ins Ohr. Während der alte Mann zuckend auf dem Boden lag, fiel mir auf, dass er gar nicht mehr so alt war. Volles braunes Haar ersetzte die weißen Stränen auf seinem Kopf, die faltige Haut wurde straff und gesund und er schien zu wachsen. Abrupt hörte er auf sich zu bewegen und verlor nun vollkommen das Bewusstsein. Auf dem staubigen Boden der Hütte lag ein junger Mann von 20 Jahren, mit breiten Schultern und einem markanten Gesicht. Wir traten näher an ihn heran. „Er ist mir gut gelungen, Herr, meint ihr nicht auch?“ Ich nickte und versuchte Faust zu wecken. Erst nach einigen heftigen Backpfeifen öffnete er die Augen. Ich half ihm auf die Beine und bemerkte, dass er mich nun, da er gerade und nicht gebeugt lief, um eine halbe Kopflänge überragte. Heinrichs Blick wanderte zu Sybille herüber. „Es scheint Aphrodite selbst, sei vom Olymp gestiegen.“, flüsterte er mir voller Bewunderung zu. „ Ab jetzt wird jede Frau für dich schön wie eine Göttin sein“, sagte ich lachend und klopfte ihm auf die Schulter. Die Hex machte einen tiefen Knicks vor mir. „Lebt wohl, mein Gebieter. Ich hoffe sie benötigen bald erneut meine Dienste.“ „Ich danke. Auf bald“, erwiderte ich, dann wandten Faust und ich uns zum Gehen.